Der Wolf kommt, er schleicht ums Haus,
erspäht die Kinder und nimmt sie fort.
Hinterlistig, gemein und ungeniert
Mit hoch erhobenem Haupte schaut er her, grinst und schleicht weiter
Angst, blinde Wut und Hass
Bodenloser Hass steigt hoch, krallt sich fest, schnürt den Magen zu
Wozu ihn angreifen, wieso ihn schlagen?
Er zieht seine Kreise, höhnisch grinsend, mit hinterlistigen Augen
Er ist da und fordert sein Recht ein
Wie ihm dieses verwehren?
Wie ihm nachweisen das Unrecht, von dem das Herz weiß?
Der Hass rührt sich, er meldet sich, möchte gesehen werde, möchte sich bewegen
Die Vernunft verbietet ihn, lässt ihn schweigen, sperrt ihn ein hinter dicke Mauern
Von da sieht er alles, haucht seinen Atem aus,
er rüttelt an den Stäben
Würde er können, würde er den Wolf in Stücke reißen
Blinde Wut treibt ihn an, seine treue Gefährtin
Doch sie ereilt dasselbe Schicksal.
Hinter dicken Mauern und hinter eisen verhangenen Fenstern, fristet sie ihr Dasein
Was haben sie verbrochen?
Wo ist ihre Macht?
Wo ist ihre Würde?
Wer erfüllt ihre Aufgabe, das Leben zu beschützen, jetzt?
Wer stellt sich dem Wolf entgegen?
Wer beschützt die Kinder vor dem Raub?
Ratlosigkeit, Stille, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Chaos
Die Leere, die Taubheit, sie breiten sich aus wie Wasser, das kein Ufer kennt
Der Hass und die Wut, sie sinken nieder in ihren Kammern
Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit überkommen sie
Sie werden nicht gehört und nicht gesehen.
Traurigkeit, Stille
Und doch, eine hat sie gesehen
Das Mauerblümchen,
still, einsam und schweigsam streckt es ihnen die Arme hin
Angst durchfließt es
die Neugierde ist stärker, der Ruf unüberhörbar
es muss es tun, für das Leben, für die Gerechtigkeit, für die allumfassende Ordnung
schon gleich berührt es den Hass
erhascht seine Schulter, fühlt seine Kälte
Erstaunen
er ist klein, weich, zusammengekauert,
nicht größer als ein kleines Kind, das sich duckt vor lauter Angst
Er birgt sein Gesicht
Scham umhüllt ihn, verschleiert seine Augen
Er wagt es nicht aufzublicken
Spürt die Hand an seiner Schulter, kraftlos lässt er die Berührung über sich ergehen
Wieder hat er versagt,
Wieder kann er nichts tun gegen den Wolf, der da kommt und Leben dahinraffen wird.
Die Hand an seiner Schulter ist immer noch da
Sie ist einfach nur da, hält ihn und lässt nicht zu, tiefer zu sinken
Lässt nicht zu, dass er groß wird
Wer ist er schon, wenn er nicht hassen kann,
er muss groß werden dafür, die Hand, sie berührt ihn tief, nimmt ihn seine Wut
Doch ohne Wut ist er nur ein Häufchen Elend,
ein Niemand, ein Versager, ein Nichtsnutz, der nichts auf die Reihe bekommt
Einst verwendet, gezwungen und verpflichtet zum Töten Unschuldiger
Jetzt ein Wrack, ein Schatten seiner Selbst
Seine Kinder kann er nicht retten, dem Wolf ausgeliefert, der immer noch herumschleicht
Eins nach dem Anderen wird geholt und er, er schaut zu, hilflos und machtlos
Wozu noch hassen?
Wozu noch schreien und toben?
Das Leben ist nicht mehr wert als ein leeres Wort
Verrat, Erniedrigung, Entwürdigung
Er kann sich nicht wehren, er kann sich nicht wehren vor dem Wolf, der sein Leben will
Diese Hand auf seinen Schultern, ruft Erinnerungen hoch von längst vergangenen Zeiten
Nein, er ist nicht stolz
Er hat überlebt, die Hölle, das Fegefeuer
Wird er jetzt die Liebe überleben?
Die Hand an seiner Schulter schenkt ihm Mut
Er erhebt sich, schaut sich um, sieht den Wolf herumschleichen
Listig seine Beute umkreisen
Es betrachtet ihn, sein Fell, seine Augen, sein Maul, das er sich schon leckt
Die Augen, die er zukneift und wieder öffnet
Da zeigt es sich, das Wesen im Wolf
Er spürt die Verbindung
Er sieht die Bestie und erkennt sich selbst
Zwei Wesen, verletzt, geschunden und verzweifelt
Mitgefühl steigt auf
Sie setzen sich gegenüber, reichen sich die Hände und betrachten sich
Sie sind keine Feinde, sie sind keine Freunde
Sie sind alte Bekannte aus einer längst vergangenen Zeit,
die sich wieder und wieder treffen, außerhalb von Raum und Zeit
Unter der Hand auf seiner Schulter ist er groß und kräftig geworden
Er ist dem Wolf nun ebenbürtig
Er fühlt nun, dass er seine Kinder beschützen kann,
für sie da sein kann,
ihnen wird kein Schaden mehr zugefügt
sie sind sein Fleisch und Blut
sie tragen sein Leben in sich
Er wird den Wolf zähmen, für seine Kinder
Er holt die Wut, denn sie soll ihm helfen, zur Seite stehen und seine Gefährtin sein im Kampf
Auch auf ihrer Schulter liegt nun die Hand des Mauerblümchens
So ziehen sie in die Schlacht, ihre Kinder zu schützen
Das Leben zu verteidigen und ihm sein Recht auf Leben zurückzugeben
Freude durchflutet ihn
Stolz und Liebe füllen seine Brust
Seine Kinder schließt er in seine Arme
Er umarmt das Leben und das Leben umarmt ihn
Er ist heimgekehrt
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